Pater Gerhards Rundbrief

am Vierten Adventsonntag, dem 23. Dezember 1990

Meine lieben Freunde, Bekannten und Verwandten,

als ich heute in unserer Außenstation eNkanyezini ( Maria, Stern des Meeres ) den Sonntagsgottesdienst hielt, sind uns bei 40° C im Schatten die Altarkerzen so weich geworden, daß sie sich wie in einer tiefen Verneigung vor dem heiligen Geschehen am Altar bogen und schließlich vom Kerzenleuchter aus ganz nach unten hingen. Da paßte das Lied "Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab" recht gut dazu und die Leute verstanden gleich, was ich meinte, als ich ihnen sagte, daß Christi Kommen heute für uns wie ein kühlender, erfrischender Regen sein soll, den wir Menschen ebenso dringend brauchen wie dürres Land vom Wasser belebt wird.

Nach der Hl. Messe brachte ich die Hl. Kommunion in den Kraal zu einer alten kranken Frau. Auf den schiefen Wänden ihres Hauses, das eher einer Baracke gleicht, als dem, was man in Europa unter einem Haus versteht, liegt altes Wellblech als Dach. Im Inneren der Behausung war es schier unerträglich heiß, jedenfalls hätte ich mir fast die Finger verbrannt, als ich das Wellblechdach von innen berührte. Da lag vor mir in der Gluthitze eine von schwerer Arbeit und Krankheit gezeichnete alte Frau und strahlte mir mit ihrem zahnlosen Mund im faltigen Gesicht mit einem Lächeln entgegen, das mich tief beeindruckte. Welche Reife und welch tiefer Glaube spricht aus so einem Lächeln, das den Schmerz und die Einsamkeit, die Hilflosigkeit, ja das Unerträgliche, von dem sie mir nachher sehr wohl erzählte, überwunden hat. Als wir bei ihr gemeinsam beteten, fühlte ich mich wie einer der Hirten, der in den Stall nach Betlehem gekommen war.

Was süßliche Weihnachtsgeschichten unter dem Zuckerguß der Idylle verstecken, ist die harte Wirklichkeit der Christnacht für Maria und Josef, die nach einer beschwerlichen Reise zu Fuß von den eigenen Verwandten auf der Straße stehengelassen wurden und nicht wissen wohin. Würde uns heutzutage jemand einen Stall zum Übernachten anbieten, sicher würden es die meisten von uns als unerträglich empfinden. Und gerade in diese Unerträglichkeit der Welt hinein wurde Christus geboren. Viele Menschen haben diesen Christus dann auch als unerträglich empfunden und viele tun das heute noch. Damals wie heute durchkreuzt die Wirklichkeit Christi unsere menschlichen Vorstellungen, und nur der vermag ihm zu begegnen, der ihn am Kreuzweg sucht, bei den vielen Kreuzträgern unserer Zeit. Ich bin mir sicher, daß ich ihm heute begegnet bin in der alten Frau in der Unerträglichkeit ihres Daseins. Ihr Lächeln trotz alledem hat mir gezeigt, daß Gott mit uns das Unerträgliche überwindet, weil er es ist, der in Christus das Kreuz unseres Lebens schon vor uns und für uns getragen hat.

Das ist die Freude der Weihnacht, daß Gott in Christus Mensch wurde, damit er unser Kreuz für uns und mit uns tragen kann. Fragen wir nicht oft, wie kann uns Gott denn so ein schweres Kreuz aufbürden?

Und dabei vergessen wir dann ganz, daß gerade er es ist, der dieses Kreuz mit uns und für uns trägt und so das Unerträgliche erträglich macht. Der Stern von Betlehem führt uns zur Quelle des Lichtes, das alle Dunkelheiten der Welt erleuchtet, aber wir finden dieses Licht eben nur, wenn wir nicht zu bequem sind, in die Unerträglichkeit des Stalles hineinzugehen und Christus aus jenem Futtertrog, den wir Krippe nennen und der das Brot des Lebens in sich birgt, zu uns nehmen.

So wünsche ich Euch allen zu Weihnachten und für das Neue Jahr 1991, daß Ihr immer spüren dürft, daß Ihr in jedem Kreuz Christus begegnen könnt, im eigenen, aber auch in jedem Kreuz, das ihr mit anderen und für andere tragt. Das ist die Quelle wahren Friedens und wahrer Freude, die nicht abbröckelt wie der Zuckerguß süßlicher Idylle.

Meinen Wünschen muß ich aber wohl gleich eine Entschuldigung anfügen, daß es mal wieder nicht zu einem persönlichen Brief gereicht hat und ich um Verständnis bitten muß, daß ich mich eben mit diesem Rundschreiben zu Wort melde. Im letzten Rundschreiben habe ich versprochen, meine neuen Pfarreien näher vorzustellen und das tue ich hiermit gerne:

Vorerst konnte ich nur eine meiner beiden Pfarreien übernehmen, nämlich Mangete. Der 81jährige Pfarrer von Mandini ist noch so rüstig, daß er gar noch nicht daran gedacht hatte, in den Ruhestand zu gehen. Die Vorbereitungen dafür brauchen Zeit, aber ich denke, daß ich bald im Frühjahr 1991 nach Mandini gehen kann.

So bin ich vorerst in das ziemlich verfallene Pfarrhaus in Mangete eingezogen und nach einigen Renovierungsarbeiten sieht es jetzt wieder ganz ordentlich aus. Mangete ist keine allzu große Pfarrei. Die Südgrenze der Pfarrei ist der Tugela-Fluß, der in jedem Atlas zu finden ist, die Ostgrenze der Indische Ozean, im Westen grenzt die Pfarrei an die Nationalstraße " N 2 " und im Norden an die Pfarrei Heiligkreuz in Emoyeni bei Gingindlovu.

Ein großer Teil meiner Pfarrkinder sind Mischlinge, die man hierzulande "Coloureds" nennt. Alte Landkarten weisen die Gegend als "Dunn-Reservat" aus. Der weiße Abenteuerer John Dunn (1833 - 1895) ehelichte 49 Frauen, von denen 16 katholisch waren. Von seinen 119 Kindern wurden 68 in der katholischen Kirche getauft. Der Dunn-Clan bekam von der Regierung rund 3500 ha Grund in Mangete als Wohn- und Wirtschaftsgebiet zugesprochen. So leben auch heute noch viele Nachkommen Dunns im Gebiet von Mangete. Manchmal sage ich spaßhaft, daß ich jedermann nur mit "Hallo, Herr bzw. Frau Dunn" zu grüßen brauche, und meistens liege ich richtig.

Zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Katholiken der Pfarrei Mangete allerdings sind Zulu, verteilt auf die beiden großen Außenstationen eMandikini und eNkanyezini und die beiden kleinen St. Patrick und St. Francis.

eNkanyezini liegt ganz nahe am Indischen Ozean und ist eine recht aktive Gemeinde. Dort wohnt auch unser Katechist, Herr Khumalo, der eine sehr wesentliche Stütze der Seelsorge in unserer Pfarrei ist. Er hält Wortgottesdienste, besucht die Kranken und unterrichtet Taufbewerber und Erstkommunikanten. Mein Vorgänger hat ihm ein Motorrad gekauft, mit dem er in schwierigem Gelände auch zu den entlegensten Hütten kommen kann. So arbeiten wir sehr gut zusammen und wenn ich dann mit ihm hinausfahre, erinnert er mich immer an den Hl. Johannes den Täufer, der Christus den Weg zu den Menschen bereitet hat.

eMandikini ist eine 1903 gegründete und Anfang der Siebziger Jahre wieder geschlossene Aussätzigensiedlung. Nachfolger der Leprakolonie ist ein Heim für Langzeitkranke, das von der Zuluregierung betrieben wird. Dort leben neben geistig Schwerstbehinderten und anderen chronisch Kranken noch einige ehemalige Insassen des Aussätzigendorfes, deren Lepra zum Stillstand gebracht wurde. Als mir zum erstenmal einer von ihnen seine verstümmelte zerfressene Hand zum Gruß reichte, kam mir der Hl. Franziskus in den Sinn, dem es erst vor dem Aussätzigen ekelte, den er dann aber umarmte. Alle 14 Tage besuche ich alle Kranken dort und bringe den Katholiken unter ihnen die Krankenkommunion. Jedesmal darf ich spüren, wie sehr sie sich über einen Besuch freuen, denn wer dort landet, ist ganz arm dran. Bei den Zulu ist die Bindung an die Familie und damit die Geborgenheit in ihr sehr groß, und es ist sehr wohl Brauch, sich um die Kranken der eigenen Familie anzunehmen und für sie zu sorgen, auch wenn sie sehr pflegebedürftig sind. Die Patienten von eMandikini sind daher solche, die entweder keine Familie mehr haben oder von ihrem Clan ausgestoßen wurden. Ich bin sehr gerne dort in eMandikini, und ich habe auch schon einige unausgegorene Pläne im Kopf, wie man den Leuten dort wirklich helfen könnte. Die katholische Gemeinde von eMandikini ist auch sehr aktiv und aufgeschlossen. So sind gottlob gute Voraussetzungen für eine fruchtbare Arbeit der Kirche gegeben.

Überhaupt bin ich sehr froh und dankbar, daß mich meine Pfarrkinder hier sehr gut an- und aufgenommen haben und ihre Bereitschaftsbekundungen zur Mitarbeit am Aufbau einer lebendigen Kirche klingen sehr erfolgversprechend. Gebe Gott, daß wenigstens ein guter Teil der vielen Pläne und Hoffnungen in Erfüllung gehen zur größeren Ehre Gottes und zum Aufbau des wunderbaren Leibes Christi, der Kirche.

Ich danke an dieser Stelle erneut jedem Einzelnen, der bislang unsere Arbeit hier im Süden Afrikas mit Gebet und Opfer unterstützt hat, und ich weiß, daß wir so auch in Zukunft verbunden bleiben werden. Ich verspreche erneut, mich zu bemühen, bald meine persönlichen Briefschulden abzutragen, bitte aber vorsichtshalber noch um etwas weitere Geduld.

Ich wiederhole meine guten Wünsche für ein Gesegnetes Weihnachtsfest und Gottes Frieden und Freude für das ganze Neue Jahr 1991!

Euer

Pater Gerhard


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